JANINE EGGERT

Object:Ready Made



Das berühmteste von Marcel Duchamps Ready-Mades ist wohl die 'Fontäne' von 1917: Ein industriell hergestelltes Urinal, das er mit dem Pseudonym 'R. Mutt' signierte. Er reichte es als künstlerischen Beitrag zur Jahresausstellung der Society of Independent Artists in New York ein, aber es wurde zurückgewiesen und löste heftige Diskussionen um den Kunstbegriff seiner Zeit aus. Das Ready-Made war ein Kommentar zur künstlerischen Überproduktion einerseits und Kritik an der zunehmenden Akademisierung der Avantgardekunst andererseits. Aber abgesehen von ihrer Intention, das Kunstverständnis seiner Zeitgenossen auf die Probe zu stellen, in dem massenproduzierte Gegenstände Kunstwerke ersetzten, haben einige dieser Arbeiten auch dafür gesorgt, gestaltete Gebrauchsgegenstände nach ihren skulpturalen Qualitäten beurteilen zu können. Der Flaschentrockner, das Urinal und die Hutablage, allesamt Ready-Mades von Duchamp, sind Skulpturen, die in ihren abstrakten Eigenschaften wie Bild, Proportion, Struktur und Material funktionieren. Duchamp erbrachte den Beweis, daß auch in einem industriell gefertigten Gebrauchsartikel die kompositorischen Vorraussetzungen einer allansichtigen, raumgreifenden Skulptur gegeben sein können.

Etwa zeitgleich arbeitete Constantin Brancusi an der vierteiligen Serie 'Cups' (1916 - 30). Es ist die einzige Skulpturenserie in seinem Oeuvre, die anstelle einer Person oder eines Tieres ein Gegenstand zum Thema nimmt. Diese kleinformatigen Skulpturen sind sehr verschieden von den Gebrauchsgegenständen, Sockeln und Möbeln, die Brancusi für die Ausstattung seines Ateliers mit demselben Werkzeug und derselben Formensprache anfertigte, aber denen nicht dieselbe künstlerische Wertschätzung entgegengebracht werden sollte. Inspiriert durch prähistorische Kunstgegenstände streben Brancusis Arbeiten nach extremer Vereinfachung der Formen. 'Cup' ist aus Holz geschnitzt und sehr viel größer als das reale Vorbild. Die Arbeit ist massiv und nicht länger ein Behälter. Die Unterseite ist eine geschlossene Hemisphäre, und die horizontale Oberfläche könnte als das Antlitz der Skulptur gelesen werden. Es ist Brancusis bewußter Versuch, ein Objekt zu einer Skulptur zu erheben.

Auch wenn Duchamps Beispiel prominenter ist, so sind doch beide künstlerischen Experimente Vorbereiter der späteren Objekte der Pop Art und auch der Praxis der 'Site-Selections' in Robert Smithsons Werk und auch dessen, was ich im späteren Verlauf in Bezug auf meine eigene Arbeit den skulpturalen Blick nennen werde. Darüber hinaus haben vor allem die Ready-Mades dazu geführt, diese Art von Form- und Materialgebrauch, das Benutzen von Industrieerzeugnissen und industrieller Produktionstechniken, in den Bereich der Skulptur zu übernehmen. Bei den Künstlern der amerikanischen Konzeptkunst und vor allem bei denen der Minimal Art tritt diese Praxis das erste Mal in Erscheinung. Als Reaktion auf den Abstrakten Expressionismus, der mit seinem expressiven Gestus die Aura des Künstlerischen überbetonte, wandten sich die Minimal Art Vertreter Techniken und Formen zu, die die künstlerische Handschrift tilgten.

Brancusis Vorgehensweise in seiner Serie 'Cups' nimmt die Arbeitspraktiken des Pop Art Vertreters Claes Oldenburg vorweg. Oldenburg verfährt so, daß er Gebrauchsgegenstände in Material und Größe transformiert und so zu Objekten gelangt, die zwar realistisch das Vorbild darstellen, aber nicht mehr seine Eigenschaften besitzen. Ab 1963 macht er die ersten Soft-Sculptures und Vinyl-Plastiken. Wie der Name schon sagt, bildet er in diesen Arbeiten Alltagsgegenstände aus Stoff und Vinyl nach, so daß diese in sich zusammenfallen. Ab 1965 konzentriert sich Claes Oldenburg auf die 'Giant Objects', in denen er banale Gegenstände durch Monumentalisierung verfremdet, wie die „Giant Pool Balls“, die für die Skulptur Projekte Münster 1977 entstanden: Drei überdimensionierte Betonkugeln (3,5m Durchmesser), die an den Aaseeterrassen in Münster liegen und so gut wie zum Wahrzeichen der Stadt geworden sind.

In einigen Arbeiten Warhols gibt es ebenfalls diese Praxis des isoliert betrachteten Objekts; sei es als Bild oder eben Objekt. So fallen z. B. die 'Brillo Boxes', die Warhol in der Stable Gallery 1964 in New York raumfüllend ausstellte, in diese Kategorie von Arbeiten und aber auch die 'Campbell's Soup Cans' von 1962, eine Serie von 32 Bildern, die jeweils eine Suppensorte in der Dose des vor allem auch durch diese Arbeit berühmt gewordenen Konservenherstellers abbilden.

Robert Smithson hat sich während seiner künstlerischen Laufbahn immer wieder mit kunsttheoretischen Fragen auseinandergesetzt. In seinen Schriften setzt er sich mit der Beziehung zwischen Kunstwerk und Umfeld auseinander und hat dort seine Theorien über 'Sites' und 'Non-Sites' entwickelt. Sites nennt er Arbeiten, die für einen ganz bestimmten Ort, meist Orte in der Natur, entstehen, während Non-Sites Arbeiten sind, die an Ausstellungsorten wie einer Galerie oder einem Museum gezeigt werden. Beispiel einer Site ist 'Spiral Jetty' im Great Salt Lake, Utah von 1970, während 'Non-Sites' aus Arbeiten auf Papier, Fotografien etc. und oft auch Material wie Steine, Muscheln oder Sand von einer bestimmten Site bestehen. In seinen 'Site-Selections', die er erstmals dem Text „Towards the Development of an Air Terminal Site“1 zur Seite stellte, macht Robert Smithson fotografische Aufnahmen von noch nicht abgeschlossenen Bauwerken und versieht diese mit kurzen Untertiteln, die das ästhetisch Schätzenswerte an ihnen beschreiben. So stellt er das Potential solcher Industrieanlagen und Gebrauchsarchitekturen heraus, unter einem Blick, der ihre formalen und kompositorischen Eigenschaften schätzt, zu abstrakter Kunst zu werden. Betont werden muß, daß dies bei Smithson nur möglich ist, solange die Bauten nicht fertiggestellt, noch ohne Funktion, noch ohne Benutzer sind, also solange sie in einem transitorischen Zustand bzw. Nicht-Zustand sind. Sein wohl bekanntester Text, der diese Form der Site-Selection in der schriftlichen Form expliziert, und dem Abbildungen der betrachteten Architekturen und Anlagen zur Seite gestellt sind, ist 'A Tour of the Monuments of Passaic, New Jersey'2 von 1967. In diesem Text beschreibt er einen Spaziergang durch die Stadt Passaic und am Passaic River entlang, und der Leser erfährt, wie Abwasseranlagen, eine Brücke und ein Sandkasten zum Beispiel zu solchen „ausgewählten Orten“ für ihn werden. Vor allem durch kompositorische Analyse („...I watched the bridge rotate on a central axis in order to allow an inert rectangular shape to pass with its unknown cargo.“)3, manchmal auch durch Interpretation („... such rotations suggested the limited movements of an outmoded world. … One could refer to this bridge as the 'Monument of Dislocated Directions'.“)4 objektiviert Smithson den Gegenstand.

Man könnte sagen, die Minimal Art hat auf zwei Ebenen Wurzeln im Duchampschen Ready-Made: Die Übernahme industrieller Erzeugnisse und Technologien für die künstlerische Praxis einerseits und die Objekthaftigkeit der Arbeiten andererseits. (Objekthaftigkeit meint hier die Unteilbarkeit, die Einheit der Form eines Werkes, durch die sie mit einem einzigen Blick erfassbar sind.)5 So sind entweder die Komponenten einer Arbeit industrielle Fertigprodukte, wie zum Beispiel bei Carl André, oder die Objekte entstehen durch den Einsatz industrieller Produktionsweisen wie bei Donald Judd. Sie sind nicht von vorherein Kunst. Judd geht davon aus, daß solche Materialien objektiver sind. Sie verlieren ihre Assoziationen von Nicht-Kunst, wenn sie für Zwecke der Kunst angeeignet werden. Die Materialien sind „geschichtslos“. André benutzt sehr häufig vorproduzierte „Metallfliesen“, die er für seine Bodenarbeiten auslegt, wie bei der Arbeit 'Magnesium-Zinc Plain' von 1969. Eine Reihe von Arbeiten Donald Judds sind Kästen, die auf identischen Außenmaßen (41 x 51 x 72 inch) basieren, aber im Inneren unterschiedliche Raumkompositionen aufweisen. Eine Ausführung so einer Arbeit aus Aluminium '100 untitled works in mill aluminum'(1982-1986) ist als komplette Serie von Hundert Boxen in der Chinati Foundation in Marfa, Texas, untergebracht. Von Judd entworfen wurde sie in einem professionellen Metallverarbeitungsbetrieb hergestellt. Der Entwurf findet im Atelier statt, die Realisierung wird an einem anderen Ort mit anderen Mittel vollzogen. Der Akt schließt die Negation der künstlerischen Handschrift mit ein. Es vollzieht sich eine Abwertung von künstlerischem Geschick und Virtuosität und eine Aufwertung des Konzeptuellen. Der Gedanke, den Duchamp auch schon mit dem Ready-Made formulierte.

Die Praxis, Gebrauchsgegenstände und Industriebauten, Architektur und Produktdesign einem ästhetischen Blick zu unterziehen, der nur formale Eigenschaften kennt und die Dinge aus ihrem Kontext gelöst betrachtet, ist ein Teil meines Arbeitens. Hauptsächlich mittels Fotografie halte ich solche Objekte fest. Das können ganze, technische Apparaturen sein oder auch Details von Objekten; der Blick hat einen Zoom. Und eigentlich gibt es keine Kategorie von Dingen, die ausgeschlossen werden könnte. Die Fotografien, die so entstehen, sind keine künstlerischen Arbeiten im eigentlichen Sinne. Sie bilden ein Kompositions- und Formengedächtnis, das mehr oder weniger meine künstlerische Produktion von Skulpturen und anderen Arbeiten beeinflußt. Die Fotografien begleiten meinen Formfindungsprozess. Diese Art des Schauens, dieser skulpturale Blick, ist direkt verwandt mit den Duchampschen Ready-Mades. Letztere sind auch kein kreativer Akt im eigentlichen Sinne des Erschaffens sondern ebenfalls eine Betrachtungsweise.

Zu diesem Gedächtnis gehören aber nicht nur die Fotografien. Auch das Besuchen selbst von bestimmten Orten und die direkte Erfahrung des jeweiligen Raumes sind Teil des „Formenkatalogs“. Es sind Orte unterschiedlicher Art: Fabrikanlagen, Forschungsstationen, Orte in der Natur, Architektur. Die Wahrnehmung solcher Orte ist nicht unähnlich der Erfahrung, die Tony Smith in seiner vielzitierten Schilderung einer nächtlichen Autofahrt darstellt, die er Mitte der fünfziger Jahre auf der noch nicht fertiggestellten New Jersey Turnpike unternommen hat. Smith beschreibt darin, wie ihn diese unwirkliche, künstliche Landschaft beeindruckt. Er ist dann der Ansicht, daß dieses Erlebnis das Ende der Kunst beziehungsweise das Ende der Malerei bedeuten müßte, aber das ist in diesem Zusammenhang nicht so wichtig. Mich interessiert vielmehr an dieser Schilderung, daß er offensichtlich ab diesem Erlebnis beginnt, von Menschen geschaffene Landschaften, Architekturen etc. losgelöst von ihrer Zweckbestimmung betrachten zu können und daraus Erlebnisse zu ziehen, die der traditionellen Kunsterfahrung ähnlich sind. Eine Betrachtungsweise, die Robert Smithson zu seinen Site-Selections und Monumenten führt:

Als ich damals, Anfang der fünfziger Jahre, an der Cooper Union unterrichtete, erzählte mir jemand, wie ich auf die noch unfertige New Jersey Turnpike kommen konnte. Ich nahm drei Studenten mit und fuhr von irgendwo in Meadows nach New Brunswick. Die Nacht war dunkel, und es gab da keine Beleuchtung, keine Fahrbahn- oder Seitenmarkierung, keine Leitplanken, überhaupt nichts außer dem dunklen Asphalt, der durch die flache Landschaft lief, mit den Höhenzügen in der Ferne, und zwischendurch Fabrikschornsteine, Türme, Rauch, und farbige Lichter. Diese Fahrt war eine Offenbarung. Die Straße und ein großer Teil der Landschaft war künstlich, und doch konnte man es nicht als ein Kunstwerk bezeichnen. Andererseits gaben sie mir etwas, was die Kunst mir nie gegeben hatte. Zuerst wußte ich nicht, was es war, aber die Wirkung war, daß es mich von vielen meiner Ansichten über Kunst befreite. Es schien, daß es da eine Wirklichkeit gab, für die die Kunst keinen Ausdruck hatte. Diese Erlebnis auf der Autobahn war etwas, das klar vorgezeichnet, aber nicht gesellschaftlich anerkannt war. Ich dachte bei mir, es sollte klar sein, daß das das Ende der Kunst ist. Die meiste Malerei sieht danach sehr bildhaft aus. Man kann es in keinen Ausdruck fassen, man muß es einfach erleben. Später entdeckte ich in Europa ein paar verlassene Flugzeugstartbahnen – Arbeiten, die aufgegeben worden waren, surrealistische Landschaften, etwas, das mit keiner Funktion zu tun hatte, erschaffene Welten ohne Tradition. Allmählich begann ich etwas zu ahnen von einer künstlichen Landschaft, die es früher nicht gegeben hatte. In Nürnberg gibt es einen Exerzierplatz, groß genug für zwei Millionen Menschen. Das ganze Gelände ist umfaßt von hohen Tribünen und Türmen. Der Zugang besteht aus drei 40cm hohen Betonstufen, eine über der anderen, die sich ungefähr eine Meile weit erstrecken.
(Tony Smith, zitiert nach Michael Fried, „Kunst und Objekthaftigkeit“, in: Gregor Stemmrich (Hg.), Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, Dresden 1998, S.350.)

Janine Eggert



1. Erstmalig erschienen in Artforum, Juni 1967.
2. Erstmalig erschienen als -The Monuments of Passaic-, Artforum, Dezember 1967.
3. Robert Smithson, -A Tour of the Monuments of Passaic-, New Jersey, in: ders., The Collected Writings, hg. Jack Flam, Berkeley, Los Angeles, 1996, S. 70.
4. Ebd.
5. Siehe Donald Judd, -Spezifische Objekte-, in: Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, hg. Gregor Stemmrich, Dresden, 1995